WILFRIED RAPPENECKER

February 23, 2023

Wirkung der Ausrichtung der TherapeutIn

Ausrichtung und Präsenz der behandelnden Person beeinflussen die Wirkung einer Shiatsu- Behandlung deutlich. Viele dieser Wirkungen auf den Klienten sind Ausdruck eines Resonanzphänomens. Darum möchte ich zu Beginn dieses Artikels zunächst auf den Resonanzraum eingehen.

Der therapeutische Raum ist ein Resonanzraum

Wenn sich Menschen begegnen und länger miteinander verweilen als es in einem sehr flüchtigen Vorübergehen der Fall wäre, so bilden sie sofort und unvermeidbar einen gemeinsamen Resonanzraum, in dem sie sich gegenseitig erfahren und auch beeinflussen. Dies geschieht unabhängig von der Zahl der beteiligten Personen, seien es nur wenige, ein paar hundert oder gar tausende. Dieser gemeinsame Resonanzraum wird umso stärker und umso besser spürbar, je mehr die beteiligten Personen sich zusammen auf ein Geschehen (beispielsweise ein Konzert oder ein Fußballspiel) oder eine Person (beispielsweise eine politische RednerIn oder SchauspielerIn) konzentrieren. Die gemeinsame Erfahrung vermag tief zu berühren. Ist dies eine starke Erfahrung, so kann sie das weitere Leben eines Menschen deutlich beeinflussen.

In einer Shiatsu-Praxis begegnen sich meist lediglich 2 Personen, aber das Geschehen ist dasselbe. Beide tragen gleichermaßen zu dem gemeinsam gebildeten Resonanzraum bei, ihre Persönlichkeit, ihre Intention, ihre Stärken und Schwächen fließen in den gemeinsamen Raum ein. Auch wenn die beteiligten Personen sich dieses Geschehens nicht bewusst sein sollten, entfaltet sich der therapeutische Raum dennoch, entwickelt nicht selten eine eigene Dynamik und beeinflusst das weitere Geschehen.

In der therapeutischen Arbeit haben TherapeutIn und Klient unterschiedliche Rollen inne. Es ist die TherapeutIn, welche das Geschehen und die Veränderungen im Resonanzraum anstößt. Mittels ihres auf Ausrichtung und Präsenz beruhenden und durch Training und Praxiserfahrung entwickelten eigenen Resonanzraumes macht sie dem Klienten ein Resonanzangebot. Dabei beobachtet sie und folgt dem Geschehen im sich entfaltenden Resonanzraum und schlägt mit Berührung und Worten eine in dieser Situation sinnvoll erscheinende Richtung vor. Die Kunst der TherapeutIn besteht darin, aus dem Anliegen des Klienten eine gemeinsam erlebte Bewegung anzustoßen.

Klienten hingegen sind sich des hier beschriebenen Geschehens überwiegend nicht bewusst. Je mehr sie jedoch der therapeutischen Situation vertrauen, um so mehr können sie sich in den Resonanzraum hinein entspannen und dadurch das Resonanzgeschehen verstärken. Die Öffnung und Entspannung des Klienten wirkt unmittelbar auf die TherapeutIn zurück. Auch sie kann sich dem Raum nun mehr öffnen. Ist das Resonanzgeschehen stark, so haben beide das Gefühl, sich in die gleiche oder in eine vergleichbare Richtung zu bewegen.

Shiatsu Geben und Nehmen fühlt sich dann leichter an.

Ausrichtung und verstärkte Resonanz-Fähigkeit

Die natürliche Resonanzfähigkeit des Menschen kann durch Ausrichtung und Präsenz gezielt verstärkt werden. Da in der Regel die BehandlerIn den oben beschriebenen Resonanzprozess initiiert, ist es hilfreich, wenn sie sich dieses Zusammenhanges bewusst ist und die Ausrichtung ihres Körpers und Geistes kontinuierlich übt.

Ausrichtung bedeutet Aufrichtung und Öffnung des eigenen Körpers sowie Präsenz in diesem Körperraum. Ein satter Bodenkontakt und Verankerung im Boden bilden die Grundlage. Von dieser Basis ausgehend richtet sich der restliche Körper auf, wobei der Körper sich mit dieser Bewegung sogar ein wenig ausdehnen kann. Aufrichtung bedeutet hier immer auch eine Ausrichtung und Aufrichtung der Wirbelsäule; dies auch dann, wenn die Aufmerksamkeit vor allem in den Räumen vor der Wirbelsäule (den ‚Drei Brennkammern‘) konzentriert sein sollte. Entspannte Präsenz beseelt diesen sich ausrichtenden und erweiternden Körperraum und gibt ihm eine Orientierung. All dies bewirkt eine Verstärkung der eigenen Resonanzfähigkeit. Präsenz bedeutet idealerweise, in den Drei Brennkammern d.h. in Herz, Solar Plexus und Unterem Tan Den gleichermaßen ‚da‘ zu sein. In diesem Zusammenhang ist der Raum des Solar Plexus von besonderer Bedeutung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass dieser ‚Ort der Begegnung‘ bei vielen Shiatsu Lernenden wie auch Praktizierenden sich - während sie behandeln - tendenziell aus dem Zusammenspiel der drei Brennkammern zurückzieht. Der betreffende Mensch scheint dann im Bereich des oberen Hara einzuknicken. Wache Präsenz gerade im Solar Plexus ist jedoch eine Voraussetzung dafür, dem anderen wirklich zu begegnen - eine Voraussetzung für die Wirksamkeit unserer Arbeit. Das kann Mut erfordern; den Mut, sich dem anderen in der Begegnung zu zeigen, sich ihm „zuzumuten“, wie auch den Mut, sich selber auszuhalten.

Ein wichtiger Aspekt von Präsenz ist die durch den Geist gestaltete und gelenkte Aufmerksamkeit. Der entspannte Geist vermag das Feld der Aufmerksamkeit auszudehnen oder auch zu fokussieren. Er kann es in eine bestimmte Richtung schicken und auch wieder zurückrufen. Auch auf diesem Wege wird der Resonanzraum gestaltet und ausgerichtet. Starke Fokussierung und entspannte Weite stellen in diesem Feld keine Gegensätze dar, sondern sind zwei zur gleichen Zeit bestehende Pole, die sich gegenseitig bedingen und ergänzen. Mit diesem Instrument wird es in der Behandlung möglich, ausgewählte Orte ggf. auch nur mit der Aufmerksamkeit konkret zu berühren (siehe auch meine Ausführungen hierzu in meinem Artikel ‚Innere Techniken‘). Direkte physische Berührung kann dies ergänzen.

Ausrichtung und Präsenz sind trainierbar, beispielsweise durch Methoden wie Yoga, Qi Gong oder Meditation. Nicht zuletzt bietet die Shiatsu-Praxis eine willkommene Übungsmöglichkeit. Beispielsweise führt die Anwendung der „Inneren Techniken“ zu entspannter Weite im Körperraum der TherapeutIn. Shiatsu-Behandlungen werden zu einer Art von Stillem Qi Gong. Durch in solcher Weise beharrliches Üben ihrer Ausrichtung und Präsenz entwickelt die TherapeutIn eine verstärkte Resonanzfähigkeit.

Die für einen bewussten Umgang mit dem Resonanzraum erforderliche Öffnung des eigenen Körperraumes kann eine Herausforderung darstellen, bringt sie doch die betreffende Person in einen spürbaren Kontakt mit sich selber. Alte seelische Themen und Muster können an die Oberfläche kommen und fordern, sich mit ihnen auseinander zusetzen. Auch alte körperliche Probleme mögen wieder auftauchen und können jetzt erneut bearbeitet werden. All dies lohnt sehr: die Auseinandersetzungen führen zu mehr Zufriedenheit und Lebensfreude und nicht zuletzt zu einer verstärkten Resonanzfähigkeit.

Wirkung von Ausrichtung und Präsenz auf den Klienten

Die Hauptwirkung der Ausrichtung besteht darin, dass die dabei entstehende Weite der BehandlerIn dem Klienten und seinem Körper einen größeren Raum anbietet. Mit der Annahme des Resonanzangebotes der TherapeutIn öffnet der Klient sich verstärkt in den gemeinsamen Resonanzraum hinein.

Dies führt zunächst einmal dazu, dass der Klient leichter entspannen kann, ein Effekt, den man jederzeit während einer Behandlung überprüfen kann. In dem Augenblick, in welchem die Therapeutin die entspannte Präsenz beispielsweise in ihrem Solar Plexus Raum bewusst verstärkt, reagiert sichtbar und spürbar auch der Klient, typischerweise mit einem tiefen Atemzug und zunehmender Entspannung.

Eine solche Entspannung ist nicht nur (überwiegend) angenehm, sondern auch eine Voraussetzung für vielfältige Veränderungen im Körper und Geist des Empfängers. Stress und Enge im Körperraum und im geistigen Raum sind Ursache oder verschlimmernde Faktoren einer Vielzahl von Beschwerden und Krankheiten. Lassen Stress und Enge nach, so können leichter neue Lösungswege gefunden werden.

So wird im Moment der Entspannungsreaktion eine möglicherweise schmerzhafte physische Berührung weniger schmerzhaft. Auch in einem gerade nicht berührten körperlichen Problembereich (wie beispielsweise Rückenschmerzen) kann der Schmerz in diesem Moment nachlassen. Weite und Entspannung mindern den Schmerz, weil sie einem angespannten schmerzenden Ort einen größeren Raum anbieten.

Über den physischen Körper hinaus wirkt dieses Phänomen auch im seelischen Erleben. Das mag sich beispielsweise in der Weise zeigen, dass etwaige Probleme zwar noch vorhanden sind, jedoch nicht mehr so quälend oder fordernd. In dem sich vergrößernden Resonanzraum ist der Mensch nicht so sehr an das Problem gefesselt, sondern gewinnt die Weite, es aus einer anderen, größeren Perspektive zu betrachten und neue Lösungen zu finden.

Ausrichtung und Weite der TherapeutIn bewirken im Resonanzraum Entspannung und Weite im Klienten. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die spezifische Arbeit mit energetischen und physischen Mustern, welche den körperlichen oder seelischen Problemen zugrunde liegen, eine tiefere Wirkung entwickeln kann. Fokussierung spricht das Muster direkt an, Weite eröffnet Möglichkeiten zur Veränderung.

Gleichzeitig ermöglicht das Geschehen im gemeinsame Resonanzraum auf Seiten des Klienten häufig die Erfahrung, sich angenommen und geborgen zu fühlen und bietet ein Gefühl von Sicherheit. Dies wiederum fördert Entspannung und Öffnung zum gemeinsamen Raum hin. 

Allerdings kann der sich öffnende Raum beim Klienten auch dazu führen, dass schwierige oder schmerzhafte Themen, die bisher gut im Hintergrund gehalten werden konnten, ins Bewusstsein drängen und danach verlangen, sich ihnen zu stellen. Für den Klienten mag dies mitunter eine Herausforderung bedeuten, in der die beratende Unterstützung der Behandler:In wichtig werden kann.

Schließlich erhält die TherapeutIn durch ihre Ausrichtung und entspannte Präsenz Zugang zu Informationen, welche sich im Resonanzraum zeigen. Dies mögen Ahnungen, Gefühle, Behandlungsimpulse oder auch Bilder aus der Biografie des Klienten sein. Durch das Erleben im gemeinsamen Raum erhält die TherapeutIn eine klarere Orientierung in Bezug auf die aktuelle Situation des Klienten und präzise Handlungsoptionen. Folgt sie achtsam diesen Eindrücken im gemeinsame Raum, so fühlen Klienten sich gesehen und gemeint. Zusammen mit dem Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit erhöht dies die Motivation, etwaige sich in der Behandlung und dem begleitende Gespräch abzeichnende Schritte zu machen und notwendige Veränderungen im Alltag umzusetzen.

Die zuletzt beschriebenen Erfahrungen werden in der Praxis immer wieder zufällig auftreten, auch dann, wenn wir uns der in diesem Artikel beschriebenen Zusammenhänge nicht bewusst sein sollten. Zu einem zuverlässigen Begleiter unserer Arbeit werden sie, wenn wir gelernt haben, unseren Körper und Geist auszurichten und mit entspannter Herzens-Präsenz zu füllen. Darum ist es für ein professionelles Shiatsu wertvoll, sich damit eingehender zu beschäftigen und Zeit in das beharrliche Üben von Ausrichtung und Präsenz zu investieren.